Die alteingesessenen Einwohner Heldenbergens blieben bis 1970, was Be­bauung und Ausdehnung des Dorfes betrifft, sozusagen unter sich. Es fand hauptsächlich nur eine Auflockerung der Wohnverhältnisse der - durch Kriegs- und Nachkriegsereignisse bedingt - in kleinen Wohnungseinheiten zu­sammengepferchten Familien statt. Einige junge Familien, die vor dem Kriege aus beruflichen Gründen von Heldenbergen weggezogen waren, kamen aus verschiedenen Motiven wieder in ihr Heimatdorf zurück.

In Heldenbergen hatten die politisch verantwortlichen Kräfte andere Schwer­punkte als in den umliegenden Gemeinden gesetzt. Deshalb blieb der Ort zu­nächst noch von den explosionsartigen Ausdehnungen der stadtnäheren Ge­meinden unseres Umlandes „verschont“. Es fand lediglich eine „Wohn­bebauung für Eigenentwicklung“, wie das heute genannt wird, statt.

Die vorhandenen Verkehrsverbindungen zu den Arbeitsplätzen in Frankfurt, Offenbach, Hanau und auch Butzbach wurden von unseren Bürgern so hinge­nommen, wie sie eben waren. Für an verkehrsmäßige Bequemlichkeit ge­wohnte Stadtbewohner wären sie nicht akzeptabel gewesen. Erst das Auto hat die Voraussetzungen für eine dichtere Besiedelung der südlichen Wetterau, nämlich die schnelle und bequeme Erreichung des Arbeitsplatzes weiter von der Wohnung entfernt, geschaffen. Die Tatsache, daß Heldenbergen, als gewis­sermaßen zentraler Ort, an zwei sich im Dorf kreuzenden Bundesstraßen gele­gen ist, rief schließlich die Regionalplaner auf den Plan.

 

Die letzte Gemeindevertretung von Heldenbergen bei einer Werksbesichtigung von Buderus in Wetzlar. Von links: Georg Franz, Heinrich Göbel, Günter Meißner, Heinz Schön, Günther Schön, Friedel Eberhardt, Helmut Kux, Klaus Mack, Anton Schwägerl, Bürgermeister Bernd Reuter, August Betz, Albrecht Racky, Jakob Göbel, Ewald Höhmann, Richard Mernberger, im Hintergrund drei Bedienstete der Buderus Werke.

 

Eine neue Generation, mit Bernd Reuter als Bürgermeister an der Spitze, über­nahm in unserem Dorf politische Verantwortung. Man schrieb das Jahr 1966. Professor Wortmann von der Technischen Hochschule Hannover war von der „Regionalen Planungsgemeinschaft Untermain“ beauftragt und hatte sich, auf Papier gebannt, Heldenbergen als Siedlungsschwerpunkt ausgedacht. Die Wünsche und Notwendigkeit zum Bau und auch Betreiben von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen, wie Kläranlage, Schwimmbad, weiterführender Schule und Industrieansiedlung waren die herausragenden Themen. Bei den damaligen Verantwortlichen reifte der Entschluß, einen freiwilligen Zusam­menschluß von Heldenbergen und Windecken anzustreben. Von Seiten des Gemeindevorstandes und der Parteien wurden auch Gespräche mit den Gre­mien der Nachbargemeinden Büdesheim und Kaichen geführt, die jedoch aus verschiedenen Gründen, wobei personelle und parteipolitische Überlegungen mitspielten, zu keiner Annäherung führten. Der Wunsch vieler Stadtbewohner des Rhein-Main-Gebietes nach eigenen vier Wänden auf dem Lande minderte das Investitionsrisiko für beide Kommunen. Hinzu kam, daß von der Landes­regierung mit wesentlich erhöhen Finanzzuwendungen zu rechnen war. Zweckverbände mit anderen Gemeinden bestanden bereits, so die Wasserver­sorgung und Entsorgung, die Mittelpunktschule und derNidder-Semenbach- Verband mit dem Planungsziel der Nidderregulierung. Der Bau einer Gruppenkläranlage mit Windecken war bereits beschlossene Sache. Die Bemühun­gen um eine ehrliche, gleichwertige Partnerschaft wurden allseitig beteuert. Nachdem ein Auseinandersetzungsvertrag in den Gemeindegremien und auch gemeinsam mit dem Stadtparlament Windecken intensiv beraten war, kam es am 27. September 1969 zu einer Bürgerversammlung im „Hessischen Hof‘, wo in einer sachlich geführten Diskussion kritische Stimmen zum frei­willigen Zusammenschluß nicht zu überhören waren. Namensgebung, Kreis­zugehörigkeit und gegenseitiges Aufrechnen von kommunalen Verbindlich­keiten und Steuerhebesätzen waren die umstrittenen Themen. Schließlich wurde dem Auseinandersetzungsvertrag zwischen der Gemeinde Heldenber­gen und der Stadt Windecken von den Bürgerversammlungen beider Gemein­den zugestimmt. Nachdem von der Aufsichtsbehörde der für die neue Stadt angestrebte Doppelname Heldenbergen-Windecken, mit dem die beiden Ge­meinden bereits seit 1879 durch den gemeinsamen Bahnhof über die ehemali­ge Staats- und Kreisgrenze hinweg verbunden waren, abgelehnt wurde, kam es im hiesigen Gemeindeparlament zu einer Kampfabstimmung über die beiden Namen „Naumburg“ und „Nidderau“, wobei quer durch die Fraktionen „Nidderau“ den Vorzug erhielt.

Die Presse schrieb nach den beiden Versammlungen: „Am 1. Januar des kom­menden Jahres können die Hochzeitsglocken läuten“. Und so war es dann auch. Der endgültige Beschluß der beiden Parlamente war dann nur noch Formsache.

Trotz der gemeinsamen Bestrebungen um eine zukünftige Zusammenarbeit zum Wohle der Bürger, wobei die ehrgeizigen Pläne zur Schaffung von Ge­meinschaftseinrichtungen für die Bürger der neuen Stadt im Vordergrund stan­den, ließ sich auf beiden Seiten eine gewisse Wehmut doch nicht verbergen. Ein Journalist formulierte als Beobachter der endgültigen Beschlußfassung durch das Windecker Parlament die Stimmung am treffendsten: „Obwohl die­sem Beschluß eine gewisse historische Bedeutung nicht abzusprechen ist, brach keine Euphorie aus, und die Gemeindevertreter gingen sehr schnell zu dem nächsten Punkt der Tagesordnung über“. Am 4. November wurde der Vertrag im Rahmen einer kleinen Feier von Bürgermeister Reuter und dem Beigeordneten Betz, sowie von Bürgermeister Salzmann und Stadtrat Rehde unterzeichnet.

Zu einem symbolischen Akt waren die Bürger beider Kommunen am Neu­jahrstag 1970 eingeladen. Nachdem aus jedem Stadtteil je eine von Musik beg­leitete Marschkolonne auf dem Gelände des Bahnhofs Heldenbergen-Windecken eingetroffen war, ging der „Schlagbaum“, der beide Gemeinden in den vergangenen Jahrhunderten getrennt hatte, in Flammen auf. Anschließend lud die neue Stadtverwaltung zu einem Empfang in den „Hessischen Hof‘ ein, wobei in vielen Einzelgesprächen hoffnungsvolle Perspektiven erörtert wurden.

Aufgrund des Ergebnisses der ersten gemeinsam durchgeführten Kommunal­wahl am 8. März 1970 konnten am 19. April Willi Salzmann, der bisherige Bür­germeister von Windecken, zum Bürgermeister und Bernd Reuter zum Ersten Stadtrat der Stadt Nidderau gewählt werden, womit ihnen die politische Verantwortung für die Entwicklung der jungen Stadt anvertraut wurde.

Nach den Vorstellungen der Planer war Nidderau als „Siedlungsschwerpunkt“ ausersehen. Aufgrund der sich hier kreuzenden Verkehrslinien von Bundes­bahn und Bundesstraßen war es auch bestens geeignet, auf 40000 Einwohner anzuwachsen. 1980 sollte die Zahl 20 000 erreicht sein, wofür der weitaus größte Teil der Ausdehnungsfläche Heldenberger Gemarkungsgebiet in Anspruch nehmen mußte. Die landwirtschaftlichen Nutzflächen mußten dafür um eini­ges reduziert werden.

Mit dem Siedlungsgebiet „Allee Nord“, d.h. Castellring, Hadrian-, Domitian- und Augustusstraße, erfolgte in Heldenbergen die erste Baugebietsausweisung nach dem 1971 rechtskräftig gewordenen Flächennutzungsplan, der im Rah­men eines großzügig durchgeführten Planungswettbewerbs erstellt wurde. Zirka 200 Familien mit 900 Personen fanden bis November 1988 dort, wo sich schon die Römer vor bald 2000 Jahren niedergelassen hatten, ihr neues Zuhause. Sozusagen als Bindeglied und Begegnungsstätten entstanden Ge­samtschule und Schwimmbad zwischen den beiden Stadtteilen.

Das Baugebiet „Schloßpark“ war der zweite Bauabschnitt im neuen Siedlungs­gebiet, dessen einzige Straße den Namen des 1979 verstorbenen Besitzers der Oberburg - „Fritz von Leonhardi“ - trägt. Mit dieser Straßenbenennung wurde ihm posthum Dank gesagt für seine Hilfsbereitschaft und tiefe Verbundenheit mit der Gemeinde und späteren Stadtteil Heldenbergen.

Am 1. Oktober 1971 schlossen sich die beiden Nachbargemeinden Erbstadt und Eichen freiwillig an die junge Stadt Nidderau an, und am 1. Januar 1974 erfolg­te, nach vorausgegangenem heftigen Widerstand der Ostheimer Bürger, deren Zwangseingemeindung.

Im Volksmund wird es das „Musikerviertel“ genannt, wo sich derzeitige (An­fang 1989) die dritte Wohnbauphase zwischen den beiden Stadtteilen Helden­bergen und Windecken entwickelt. Berühmte Musiker haben bei der Namens­gebung Pate gestanden. Davon zeugen die Beethovenallee, Wagner-, Händel-, Schubert- und Mozartstraße.

Die Diskussion um die Planung und Gestaltung dieses Baugebiets wurde im Stadtparlament von jahrelangen heftigen Auseinandersetzungen begleitet, nachdem eine dichte Wohnbesiedlung ursprünglich Vorrang gehabt hatte. Schon bei der derzeitigen Ausbaustufe dieses Gebietes wird deutlich, daß die langwierigen Diskussionen während der Planungen berechtigt waren und die Abkehr von der dichten Bebauung mehr den Wünschen der neuen Bewohner entgegenkommt.

Straßenbau in der Gartenstraße, 1979

Beide letztgenannten Ausbauabschnitte sind an die Bundesstraße 45 angebun­den. Am 2. April 1976 bekam die Bundesstraße, die an diesem Gebiet entlang führt, durch Beschluß der Stadtverordnetenversammlung den Namen „Kon­rad Adenauer Allee“. Sie ist die zweite Straße nach der Bahnhofstraße, welche die Stadtteile Heldenbergen und Windecken miteinander verbindet. Die Bahnhofstraße ist heute noch die längste Ortsstraße unserer Stadt, was sie sicher auch für alle Zeiten bleiben wird.

Infolge der Baugebietserschließungen nach dem 1. Januar 1970 ist die Bevölke­rungszahl des Stadtteils Heldenbergen bis zum 31. Dezember 1988 auf 4639 Personen angewachsen.

Derzeitig befinden sich mit den Baugebieten „Schloßpark II“ und „Allee Süd“ zwei weitere Abschnitte in der Planungsphase. Auch wegen dieser Vorhaben muß - nach dem möglichen und geforderten Bau der Ortsumgehungsstraßen um Heldenbergen - die Konrad-Adenauer-Alle zur innerörtlichen Straße zwi­schen Heldenbergen und Windecken werden.

Die Fusion der ehemaligen Nachbargemeinden Heldenbergen und Windecken, deren Verhältnis zueinander in den zurückliegenden Jahrhunderten nicht immer von nachbarschaftsfreundlichen Gefühlen getragen und begleitet war, konnte hier nur in ganz groben Abrissen dargestellt werden. Die hier berichteten Ereignisse sind noch sehr jung und deshalb den meisten gut erinnerlich. Mit dem 1. Januar 1970 hat die Gemeinde Heldenbergen ihre Selbständigkeit aufgrund des freiwilligen Zusammenschlusses mit der Stadt Windecken verlo­ren. Ich wünsche, daß die weitere Entwicklung unserer Stadt mit den heutigen Stadtteilen Heldenbergen, Windecken, Erbstadt, Eichen und Ostheim in ehr­licher, offener Partnerschaft geschehen möge. Die Zukunft sachlich und über­legt zu planen, die Vergangenheit nicht zu vergessen und das Wohl aller Ein­wohner anzustreben: das soll dabei Maßstab und Ziel zugleich sein. So möge sich unsere Heimat in eine für alle Menschen friedliche Zukunft entwickeln.

 

Quelle: "Chronik Heldenbergen" - Albrecht Racky