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"On Kiljanus schaffe mer nix!"

Bis in die späten 70er, frühen 80er Jahre des  20. Jahrhunderts konnte man in Heldenbergen diesen Spruch häufig hören. Und tatsächlich hielten sich die meisten im Ort Arbeitenden auch daran. Am Kilianustag beschränkten sich die Arbeiten auf das unbedingt not wendige Maß. Örtliche Kleinbetriebe und  Handwerker arbeiteten deshalb eingeschränkt  oder gar nicht. Bei den Bauern wurde selbst verständlich das Vieh gefüttert und in den  Haushalten die notwendigen Arbeiten verrichtet. Der Tag aber verlief in vielen Familien ähnlich wie ein Sonntag. Die Kinder hatten schulfrei, und am Vormittag fand in der katholischen  Kirche ein Gottesdienst statt.  

Während der Dienstzeit des katholischen Pfarrers Quirmbach (1948-1976) und einige Jahre  danach wurde an diesem Tag die sogenannte  Frauenwallfahrt durchgeführt. Die Frauen waren in kirchlich geprägter Art einen Tag unter  sich, während zu Hause alles seinen fast sonntäglichen Gang nahm.  

Es war ein Tag, an dem neben der Frömmigkeit und dem Gedenken auch Zeit für ein persönliches Gespräch blieb. Die Familie war  durch Vorsorgen oder Familienangehörige  materiell versorgt. Viele Kinder und Erwachsene gingen am Vormittag zum Gottesdienst. 1984 fand die letzte Wallfahrt dieser Art statt,- dazu hatten gegensätzliche Auffassungen zum  Begehen des Tages beigetragen. In den Jahren  1987 und 1988 wurden am Kilianustag noch jeweils drei katholische kirchliche Veranstaltungen mit Gebeten für die Früchte der Arbeit durchgeführt. Auch in den sich anschließen den Jahren bis 1995 wurde des Tages gedacht,  wobei es sich in der Regel um einen Abendgottesdienst handelte. Soweit dem Autor (Robert Bastian)bekannt, fanden 1996 und 1997 an diesem Tag erstmals kein Gottesdienst in der katholischen  Kirche statt,- jedoch wurde ein Wallfahrtsausflug durchgeführt.  

Auch in der evangelischen Pfarrei wurde der  8. Juli als besonderer Tag gewürdigt: Pfarrer  Arno Pickert (1930-1958 für die Filiale Heldenbergen zuständig) hat nach dem 2.Weltkrieg in Predigten an die Bedeutung dieses Tages erinnert und Geschichtliches dazu erwähnt.  Von anderen Pfarrern wird ähnliches berichtet.  Inzwischen jedoch hat sich der besagte Kilianustag, so scheint es, für fast alle zu einem  normalen Arbeitstag entwickelt. Ja, es entsteht  der Eindruck, dass dessen Gedenken so gut wie vergessen ist.  

Vielleicht trägt dieser Beitrag bei den Verantwortlichen zu einer Rückbesinnung bei, auch  wenn heute für viele die Früchte der Arbeit  oftmals aus dem Regal des Supermarktes entnommen werden.  

Doch was hatte es eigentlich mit diesem Tag  auf sich, worin lag seine Bedeutung?  

Da auch die evangelischen Christen und die  Juden Heldenbergens diesen Tag „hielten"  konnte es sich also nicht um einen katholischen  Ortsfeiertag handeln. Im Volksmund hatte sich  der Begriff des Gelobten Tages eingebürgert.  Von Generation zu Generation hatte sich dieser erhalten im Bewusstsein einiger Familien als Geschichte eines lange zurückliegenden  Unwettertages. Auch war die Rede von einem vor langer Zeit vom Blitz erschlagenen  Knecht der Naßburg. Im Geschriebenen fand  sich darüber nichts. Dem Verfasser (Robert Bastian) ist bekannt, dass in einigen Städten und Gemeinden ähnliche Tage mit lokalem Charakter gehalten wurden und zum Teil noch werden.  

In der „Gegenwärtigen Orts-Chronik der  (kath.) Pfarrei & Gemeinde Heldenbergen."  angelegt von Pfarrer Andreas Zachler im Jahre  1862 (1857-1864 in Heldenbergen) findet sich  folgendes:  

Ein weiteres Fest, das der Erwähnung würdig  ist, ist der sogenannte gelobte Tag auf St. Kilian. Pfarrer Kühlsheimer (1759-1811 in Heldenbergen) sagt darüber: vor undenklichen Jahren ist dahier der 8te Juli, der Tag, auf den das  Fest St. Kilian fällt, als ein purer Bettag begangen worden. Die uralte Tradition gibt folgende  Ursache an: zweimal sind an diesem nämlichen Tage alle Früchte im hiesigen Felde zerschlagen worden, worauf nachgehends Hungersnoth entstanden. Um dieser Strafe Gottes für die Zukunft zu entgehen, soll sich die damalige ganze Gemeinde verbunden haben, diesen  Tag alljährlich mit „lauter Beten" zuzubringen.  Bei den Katholiken wurde Morgens ein Hochamt mit einer Bußpredigt, Nachmittags Betstunde mit Aussetzung des hochwürdigsten Gutes wie bei dem allgemeinen Gebete gehalten. Die hiesigen Lutheraner selbst gehen in  ihre Privathauskapelle, sogar auch die Juden in  ihre Synagoge. Diese Andacht an diesem Tage, fügt Kühlsheimer bei, kann nicht abgeschafft  werden,- denn absque maximo scanda lo et mur mure totius bei" (ohne ganz großen Skandal und Geschrei od. Aufbegehren des ganzen Ortes).  Man erzählt sich, dass einst die Freifrau von Twickel in der Naßburg (1764 bei der Naßburg erwähnt) einen ihrer Knechte auf St. Kilianstag aufs Feld schickte, um Korn nach  Hause zu fahren und dass bei der Einfahrt in  die Nassburg der Wagen samt Ladung durch  ein heftiges Unwetter vom Blitze getroffen und  verbrannt sei und auch die vier vor den Wagen  gespannten Pferde sämtlich getötet worden.  Ebenso erzählt man, dass ein Ortsbürger dahier, der auf Kilianstag auch im Felde arbeiten ließ,  schweren Unfall erlitt und in beträchtlichen  Schrecken kam bezüglich des Wagens und der  Kühe. Derselbe ließ dann auf Kilian nie mehr  arbeiten".  

Zu Ende des Beitrags sei erlaubt, kurz auf die  Geschichte des für Heldenbergen so wichtigen Heiligen einzugehen. Der in der katholische Kirche als Heiliger verehrte St. Kilian  (Gedenktag 8.7.) war als Wanderbischof mit  Begleitern in Ostfranken unterwegs und kam  im 7. Jahrhundert nach Würzburg. Hier kam  es zu glaubensbedingten Konflikten mit der  christlichen Herzogsfamilie auf Grund derer  Kilian mit seinen klerikalen Begleitern Kolonat und Totnant um 689 ermordet wurde. Seine Reliquien, 722 aufgefunden, wurden im  Jahre 788 in Gegenwart Karls des Großen in  den Salvatordom (heute Neumünster) zu Würzburg überführt.  

Robert Bastian 

Quelle: Dieser Beitrag wurde aus "Blick in die Zeiten - Heft3 vom 1997" entnommen